von Claus-Christian Schuster

Monatsmagazin Musikfreunde des Wiener Musikvereins, 2017

„…denn mehr als alles gibt es nicht!

Hommage an Werner Pirchner

Der „Hommage an Werner Pirchner“, die Studierende der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien am 28. April 2017 im Musikverein gestalten, schicken die „Musikfreunde“ eine weitere Hommage voraus. Claus-Christian Schuster hat sie geschrieben: Erinnerungen an einen großen Freund.

Am Samstag, dem 11. August 2001, saß ich mit meinen Trio-Partnern Amiram Ganz und Martin Hornstein in dem uns als Künstlerzimmer zur Verfügung gestellten Raum des Schlosses Hartberg; in wenigen Minuten sollte unser Konzert im Rittersaal beginnen, in dem auf das „transzendente“ es-Moll-Trio Haydns („Jacob’s Dream“, Hob. XV:31) Werner Pirchners „Heimat?“ (PWV 29b) folgen sollte, bevor es mit Schuberts Opus 100 schließen würde. Die uns zugedachte Triofassung der „Heimat?“ hatten wir – damals noch mit Boris Kuschnir als Geiger – ziemlich genau neun Jahre zuvor im Tiroler Dörflein Obergurgl im Rahmen des damals noch ganz jungen, von Gerlinde Haid (1943–2012) initiierten „Alpentöne-Festivals“ uraufgeführt, und der Gedanke an Werners Idee, das Werk ausgerechnet in einem Ort spielen zu lassen, in dem das Fragezeichen des Titels auf den ersten Blick ganz unangebracht erscheinen musste, rührte und erheiterte mich jedes Mal, wenn ich daran dachte. Auch die für uns angefertigte Duofassung von „Shalom“ (PWV 30b) war damals aus der Taufe gehoben worden, und der virtuose Zyklus „Almweiss-Edelrausch und andere Master-Zwios“ (PWV 57), den Werner für die Solotrompeter des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, Rudi Korp und Helmut Demmer, geschrieben hatte, war ebenfalls dort zum ersten Mal öffentlich erklungen.

Die Schwingungen der Fragezeichen
Wenn ich mir das emblematische Fragezeichen des Werktitels „Heimat?“ vergegenwärtigte, jenes Fragezeichen, das ja schon Werners erstes großzügiges Geschenk an uns – „Wem gehört der Mensch …?“ (PWV 31) – begleitet hatte, fielen mir unweigerlich Hermann Hesses Worte ein, auf die ich vor vielen Jahren in seinem schlichten Büchlein „Wanderung“ (1920) im Kapitel „Bäume“ gestoßen war:
„Du bangst, weil dich dein Weg von der Mutter und Heimat wegführt. Aber jeder Schritt und Tag führt dich neu der Mutter entgegen. Heimat ist nicht da oder dort, Heimat ist in dir innen, oder nirgends.“
Und ich glaubte zu wissen, dass Werners Fragezeichen nicht von Unsicherheit und Zweifeln zeugten, sondern von Offenheit und Toleranz: jener schlichten Haltung, die alleine den Kampf gegen ideologische Dogmata und stilistischen Eigendünkel, nationale Überheblichkeit und verblendeten Fundamentalismus siegreich bestehen kann.

Die große Stille
In den Wochen vor unserem Konzert in Hartberg hatte ich einige Male mit Werner telefoniert, und ich wusste, dass er zur Behandlung im Spital war; ein Wort von ihm hätte mir jetzt sehr wohlgetan, und vielleicht würde es ihn ja auch freuen zu hören, dass wir heute sein Werk spielen wollten. Aber mein Anruf ging ins Leere: Da war nur große Stille. Ich spielte den ganzen Abend mit einem seltsam bangen Gefühl, und am Ende des Konzertes probierte ich noch einmal anzurufen, obwohl ich Sorge hatte, damit vielleicht Werners kostbaren und heilenden Schlaf zu stören – auch jetzt erhielt ich keine Antwort.
Am nächsten Morgen erreichte mich dann die Nachricht, dass er schon am frühen Freitagmorgen gestorben war.