von Heimo Steps
Sterz, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kulturpolitik, Nummer 32, 1985
Der Riese aus dem Fuchsloch
Eine Anbiederung an Werner Pirchner, hingehudelt
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, wer überhört es nicht? Im Fuchsloch im tirolerischen Thaur haust ein Riese, nicht von Gestalt, sondern im Gestalten von Tönen, Klängen, Melodeien, Musik. Werner Pirchner heißt er, und Vibraphonspielen und Componieren tut er.
Sein Kopf ist kraus – Haar und Karl, versteht sich:
»Künstler ist nur einer, der aus der Lösung ein Rätsel machen kann.« Karls krauser Aphorismus schmückt eine Wand im idyllischen Heim des Tirolers.
Ich wollte und sollte ein Interview mit W.P. machen, aber die Wiedergabe eines Gesprächs mit W.P. ohne Originalsound ist wie eine Frau ohne F…, faschteasch!
»Drein sein beinander bleibn« tönt ein Titel W.P.`s.
Der Titel als Programm, durchaus. Fein sein, das tun andere. »Über die Traurigkeit zum Kotzen«, ein Streichquartett, an dem er gerade schreibt, und ich weiß, es wird schön. »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«, ein W.P.-Titel, wäre er nicht von einem Riesen aus Prag usurpiert worden. »Mir geht es nicht darum, ob meine Sachen in zehn Jahren noch gespielt werden. Ich freue mich schon, wenn mir jemand ein bißchen zuhört, oder wenn ein musikalischer Mensch irgendetwas freiwillig von mir spielt. Was in zehn Jahren ist, weiß sowieso niemand, weil die Leute, die an der Macht sind, nicht unbedingt mit Vernunft gesegnet sind.«
Faustdick hinter den Schlitzohren. Ohren: Ein Wiener Kritiker, der nach einem Konzert W.P. wohl- oder übelwollend empfahl, sich mehr mit der Harmonielehre zu beschäftigen, erhielt eine Zeichnung aus dem Fuchsloch zugesandt: einen Arsch mit Ohren, bei dem die Ohren durchgestrichen waren.
Freilich ist solchen Ärschen ohne Ohren folgender Satz von Arnold dem Schönberg ungeläufig, und wenn sie ihn vernehmen, steigen ihnen wahrscheinlich die Grausbirnen auf:
»Du kannst machen, was du willst, du mußt nur wissen, warum du es machst.« Ein Leitsatz W.P.`s, gültig auch für die Harmonien. Und dem feinsinnigen Musikkenner dürften auch folgende Sprüche etwas sauer aufstoßen:
»Am meisten kann man lernen, wenn man sich die Meister anhört, gute Platten, und es gibt genug Zettel mit Kompositionen von allen Typen aus den letzten fünfhundert Jahren, und da kann man am meisten lernen, faschteasch.«
»Die Typen, alle leiwanden Komponisten, haben keine Grenzen gehabt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Mozart so steif am Klavier gesessen ist und durchschnittlich gespielt hat. Ich kann mir vorstellen, daß er langsam gespielt hat, wenn etwas langsam zu spielen war, und schnell, wenn etwas schnell war, und der hat irgendwie seine Soul hineingelegt.«
»Die Typen früher haben die Themen nicht nur aufgeschrieben und brav heruntergespielt, die haben improvisiert, der Mozart hat improvisiert wie ein Mörder, und die anderen auch, und da hat es die totalen Infights gegeben, wenn zwei am Klavier oder am Cembalo gespielt haben.«
Die Verweser unseres Kultur- und Bildungsgutes mögen ob solcher rüden Äußerungen keine ungetrübte Freude verspüren. W.P. tut es, und wir auch. Vielleicht täten es auch die Objekte unserer Musikerziehung.
»Ich fürchte, unsere allzu sorgfältige Erziehung wird uns noch Zwergobst bescheren«, meinte Georg Christoph Lichtenberg, nicht nur darin mit W.P. verwandt.
Aufklärung: »“Do you know Emperor Joe“, componiert nach der 43. Lektüre von „Kaiser Josef und die Bahnwärterstochter“ von Fritz von Herzmanovsky-Orlando und dem Dichter sowie Josef dem Zweiten, dem Menschenfreund, gewidmet von Werner Pirchner.«
Das hat W.P. nicht nur für seine unmittelbaren Landsleute geschrieben. »He is a strong intellectual, but you can laugh with him. He is like Harpo Marx«, hat mir der große Bassist Steve Swallow in Graz gesagt, der im letzten Sommer mit Werner Pirchner und Harry Pepl in Europa unterwegs war.
Harry Pepl: Der Riese aus dem niederösterreichischen Hernstein, »ein Gigant der Improvisation« (Le Monde), das musikalische Alter Ego W.P.`s. Das Pirchner-Pepl-JazzZwio hat längst einen Fixplatz im apokryphen Pantheon der Musik. »Live in Montreux«, ein Hammer für Herz und Hirn, wenn du Herz und Hirn Amboß sein läßt. »Immer kannst du nicht drauf sein«, sagt W.P.: Da waren er und Harry Pepl ordentlich drauf, und die Elpie kann man kaufen: Löffel auf, Freunde!
Dann sind »Better times in sight«. Hört euch den »Hos`snt-Raga« (engl.: Raga in M.) an, und ihr hebt ab, ihr segelt im Adlerflug über den Bodennebel der alltäglichen Bekümmernisse: Aufklärung, das heißt zweitens Klarwerden des Himmels. Zwerg Nase rümpft sich zwar, und andere hochgelahrte Docotores JurisPRUDENTIAE et Musicae swingen ihm zu, wenn unser bestes Stück im Smoking getragen und betulich und eins zu eins vor erlauchtem Publikum die Bundeshymne bläst. W.P. und H.P. spielen uns vor, daß es die Turnpatschen eher bringen. »Der beschissene Wandersmann«, englisch »Air, Love and Vitamines«, componiert von Harry Pepl und gespielt von ebendemselben im Trio mit Werner Pirchner und Jack DeJohnette, führt dich leichtfüßig in arkadische Klanggefilde.
Eines der schönsten Erlebnisse für mich war, als ich mit W.P. und H.P. vor acht Jahren nach einem Konzert im M 59 im leeren Saal bei etlichen zunächst vollen Flaschen Rotwein über Gott und die Welt philosophierte und im Morgengrauen die Vögel auf der Dachterasse mit ihrem Konzert anfingen. »Hörst die Post, wia de Vögel foahrn, gia ma aufs Dach und hör ma zua«.
Vorher hatten wir auch über die Kirche diskutiert. W.P. meinte, die Kirche habe auch viele Menschenleben auf dem Gewissen und ihre Haltung jeweils nur unter dem Druck der Geschichte geändert. Ich warf ein, daß es in der Kirche auch menschenfreundliche Gestalten gegeben habe wie Bartolomeo de las Casas oder Franz von Assisi. »Mit soviel Vögeln hat der Franz gar nicht reden können, als daß ein einziges Menschenleben aufgewogen worden wäre«, meinte W.P. Vor drei Jahren hat er auch eine Orgelmesse componiert, aufgeführt und aufzuführen in einer Kirche mit einer guten Orgel.
So, und jetzt laßt eure Ohren wachsen, legt eine Platte des Tiroler Riesen aus dem Fuchsloch auf und kommt zu seinem nächsten Konzert!
Wer Ohren hat, der höre!
Text von | Heimo Steps |
geb. 1946 | in Knappenberg/Kärnten |
Langzeitstudium der Romanistik und der Slawistik in Graz | |
1968 | Prag und Paris miterlebt, daher skeptisch |
1971/72 | Vorsitzender der Kath. Hochschuljugend unter E.K. |
innert acht Jahren Dissertation über die »Ironie bei Albert Camus« hingesudelt | |
seit 1975 | »Jazz M 59« |
1979-84 | Leiter des Afro-Asiatischen Institutes |
seit 1.1.1985 | GamsbART (Was machst du hauptberuflich?) |
vorher – den Frauen sei Dank – Herms Fritz kennengelernt |