von Manfred Sack
in Die Zeit, Nr. 28-5. Juli 1991, anlässlich von A-NAA-NAS BA-NAA-NAS

Zeit zum Hören

Mit neun wollte er, wie der Vater »Ziachorgel« spielen. Mit elf lernte er im Chor singen und Noten lesen, hörte aber bald wieder auf: »Die Frühmesse war immer schon um sechs, das war mir einfach zu heavy«, sagte er in einem Interview. Mal hatte er in Musik »auch einen Fünfer gehabt…, da war ich auch ganz schlimm«, aber eigentlich war’s der Lehrer. Denn Musik faszinierte den Tiroler Werner Pirchner von früh an und bald so heftig, daß er, wo und wie immer es ging, danach langte – und probierte und lernte und komponierte, bis er auf einmal merkte, »daß Musik ein Beruf ist«. Er spielte in Lokalen auf, komponierte später fürs Fernsehen, für die Bühne, für den Film.

1973 kam seine erste Schallplatte heraus, »ein halbes Doppelalbum«, es folgte »EU«, ein wirkliches Doppelalbum und interessanterweise in der »klassischen« Abteilung der Firma ECM, genannt »New Series« – und genauso war’s gemeint: E(rnste) und U(nterhaltende) Musik in einem, untrennbar, also EU. Diese geistreiche, überraschende, schwungvolle Publikation eines Spaßbösmachers hat nun eine Fortsetzung erfahren in »A-naa-nas Ba-naa-nas«, mit Bläsermusik, gespielt von den Vienna Brass, fünf philharmonischen Meistern auf Trompete, Flügelhorn, Waldhorn, Posaune und, wie anders, Tuba.

Und wie schön, daß auch die schon auf »EU« verewigte Suite »Do you know emperor Joe?« im Programm ist – und, scheint mir, noch besser gespielt wird als vordem. Unter den Satzbezeichnungen findet man den »Nachmittag eines Vormittags« (der auch so klingt) und »Wer hat Dir – Du schöner Wald – eine vor den Latz geknallt?«, auch »Die Donau ist blau – wer nicht?«. All diese kunstvollen Albernheiten waren von Fritz von Herzmanovsky-Orlandos Stück vom »Kaiser Josef und der Bahnwärterstochter« inspiriert worden, dem sie 1982 als Bühnenmusik beigegeben waren: kongeniale Ergänzung.
Alles, was es darüber zu sagen gibt, gilt auch für die (wie alle Stücke nach dem PWV, dem Pirchner-Werkverzeichnis, gezählte) Komposition »Die Bewässerung von Mitteleuropa« (Nr. 39) oder »Die milde Jagd« aus den »König-Hirsch-Duetten für tiefes Blech« (PWV 43): mit dramaturgischem Raffinement gearbeitete, (volks)tänzerische und geistreiche, eine leidenschaftlich persiflierende, eine den Hörer aufwiegelnde Musik. Lustig die wiegenden, verschobenen, stolpernden Rhythmen, vergnüglich die kessen, barsch verrückten Harmonien mitsamt ein paar »falschen« Tönen.

Überall blinzelt Volksmusik hindurch – immer aber ist auch klar, daß Tanzboden und Kammermusiksaal dicht beieinander liegen und manchmal eines sind – eine Erfahrung, zu der nicht zuletzt das ausgezeichnete Bläserquintett beiträgt: mit Temperament und Virtuosität. Die fünf schmettern, schmachten, strahlen und säuseln, sie tanzen, singen (tatsächlich) und spotten und sind, wie die Musik es ihnen nahelegt, auch mal wehmütig versonnen 29 Stücke, 29 Wonnen.
Nun wäre es nicht fair, Lydie Auvray daran zu messen – sie macht etwas Verwandtes, aber ganz etwas anderes. Die Französin spielt, was Pirchner seine Ziachorgel nannte, Akkordeon. Sie spielt so gut, wie man es nur kann und macht: Akkordeonmusik. Und das sind hier flinke und langsame Walzer, Musettewalzer, Blues- und Jazzwalzer. Gleich, wovon und aus welcher musikalischen Region in der weiten Welt sich die Musikerin hat anregen lassen: kein Takt ist gekünstelt, keine Stimmung erzwungen. Sie macht, von einer kleinen ausgesuchten Truppe begleitet, nichts anderes als unterhaltende, zum Tanzen einladende, erstklassige Musik – mit solider Meisterschaft.

»In der sogenannten klassischen Musik«, sagte Werner Pirchner, »waren die guten Komponisten alles gute Musiker. Der Bach war ein guter Musiker, Mozart hat drauftupft wie ein Mörder, Beethoven war sowieso in Schuß, der Schubert hat wahrscheinlich gegeigt wie ein Aff‘, der Schumann, bis ihm der Finger eingerostet ist, und so weiter.« Und der Pirchner und die Auvray? Desgleichen: gute Komponisten, gute Musiker, also gut »in Schuß«.