von Rainer Lepuschitz

»Bis zu meinem 42. Lebensjahr hätte ich aus Respekt vor den größten Meistern – Bach, Mozart, Schubert, Bruckner, Mahler, Schönberg, Webern etc. – nicht gewagt, auch nur einen Ton für ein klassisches Konzert zu schreiben. Als Komponist, Jazzmusiker und privilegierter Gelegenheitsarbeiter versuchte ich, meine Ideen und Gefühle in den mir zugänglichen Dimensionen (div. LPs mit Kompositionen, 2 Filme, ein paar Texte & Zeichnungen u.a.m.) auszudrücken und das rot-schwarze Farbenspiel auf meinem Bankkonto zu beeinflussen. Eines schönen Morgens teilte mir der Geiger Peter Lefor telefonisch mit, dass er für sein nächstes ORF-Konzert ein Stück von mir für Solo-Violine aufs Programm gesetzt hat. So betrat ich mit tastender Zehe…den Weg, den ich heute noch gehe.«

Werner Pirchner, der im vergangenen Sommer früh verstorbene Komponist, über Werner Pirchner und eine überraschende Wendung zur E-Musik. Der Jazzmusiker ging seinen Weg von der Ziehharmonika zum Vibrafon, der Komponist hat schon früh eine Vision:

Es muss zusammenwachsen, was zusammengehört! Und so kommt es unter dem Motto Krautsalat statt Stacheldraht (4. Satz von Die Bewässerung von Mitteleuropa PWV 39) zu jener Fusion von E-rnst und U-nterhaltung, die seither als augenfälliges Logo seine Produktionen ziert: EU.

Dabei geht es Werner Pirchner immer auch um das Unterhaltende im Ernsten und das Ernste im Unterhaltenden. Die Volksmusik (nicht die volkstümliche!) und die klassische Musik waren ihm dabei oft Material für komisch-groteske Betrachtung und Verdrehung, beispielsweise auch in dem Stück, Heimat? ist ebenfalls aus einer Bühnenmusik hervorgegangen, 1988 wurde es als Duo für Violine und Klavier zum Stück »Kein schöner Land« von Felix Mitterer geschrieben.

Im gleichen Jahr bekam Werner Pirchner durch Vermittlung durch das Wiener-Schubert Trio einen Kompositionsauftrag der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, es entstand das Klaviertrio Heimat? auch eine Version für Klaviertrio erstellen könnte.

Er lehnte zunächst ab: »Dies schien mir unmöglich. Die Stücke waren komplett. Als jedoch die ersten Nachrichten vom Krieg in den südöstlichen Nachbarländern Österreichs eintrafen, wurde klar, dass auch in nächster Nähe noch immer ein Teil der Menschheit über keine andere Sprache als jene der Gewalt verfügt. Ich komponierte für beide Stücke [auch für Shalom?, Solo-Sonate für Violine PWV 30] eine eigenständige Cello-Stimme hinzu.«

Die Erweiterung des Stücks hat also mit dem Inhalt von Felix Mitterers »Kein schöner Land« zu tun. In diesem Drama wird, in freier Bearbeitung eines historischen Falles, die Geschichte eines Juden erzählt, der als Viehhändler in einem abgeschiedenen Bergdorf lebt und so perfekt assimiliert ist, dass auch sein Sohn nichts über seine Herkunft weiß. Die Demaskierung und Zerstörung dieser Idylle vor dem geschichtlichen Hintergrund der Jahre 1933-1945 kulminiert darin, dass der Sohn, ein fanatischer Nationalsozialist, in einem Vernichtungslager seinen Vater und anschließend sich selbst erschießt.

Werner Pirchners Musik allerdings verrät von diesen Hintergründen nichts. Er schreibt eine zwar melancholische, aber doch schöne Musik, die sich der Darstellung von Wahn, Gewalt und Verfolgung verweigert. Auch die Satzüberschriften bezeichnen nur das Musikalische, nichts Außermusikalisches.

Der erste Satz Aus dem Nichts? beginnt genauso, mit leisen Flageolett-Tönen der Violine, die ein aufsteigendes Thema vorgibt, das diesen Satz beherrscht und aus diesem zarten Anfang zu einem großen Höhepunkt aufgeschichtet wird und wieder ins Nichts verschwindet.

Der zweite Satz Wiesel? besteht aus dem Kontrast einer extrem schnellen unisono-Melodielinie und getragen-klagenden Streicherklängen, die dreimal von der wieselflinken Melodie unterbrochen werden.

Stimmungslied? der Titel des dritten Satzes lässt wohl eher ein Lied der feuchtfröhlichen Art erwarten als jene mit schwebenden Schritten voranschreitende Geigenmelodie, die im Gleichschritt von Cello und Klavier begleitet und von diesen in jeweils neue (Jazz-) Harmoniefarben getaucht wird.

Der vierte Satz ist eine Reihung von offenen Fragen, melodiöse Fragezeichen, die ohne Zweifel freundlich sind, aber doch keine Antwort wissen. Offen bleibt das Ende, ratlos schweigen nacheinander Violine, Cello und zuletzt Klavier, Musik – in einer Zeit, die auch heute wieder hinter jeder schönen Musik – ein Fragezeichen verlangt und hinter allem Schönen einen Abgrund vermuten muss…

Zwischen Groteske und Grimasse, Humoreske und Pfiff schimmert immer die Wehmut durch Pirchners Musik.
Einen Abschnitt seiner