von Felix Mitterer

In memoriam Werner Pirchner

Es ist mir heute ähnlich schwer ums Herz wie vor drei Jahren, als Hans Brenner gestorben ist. Der Hansl und der Werner waren sich in vielem sehr ähnlich. Beide sind sie aus dem Volk gekommen, beide sind sie – in jeder Hinsicht – mit ihrem Dialekt, mit ihren Absichten, auch politischen und moralischen Absichten, beim Volk geblieben, ganz ohne Wollen, ganz selbstverständlich.

Sie kannten keine Entfremdung in unserer fremden Welt. Und beide sollten Kunst nicht im luftleeren Raum machen, nicht nur Kunst um der Kunst willen, sondern Kunst gegen schlimme gesellschaftliche Zustände, Kunst für eine bessere Welt, in der wir uns nicht mehr umbringen und gegenseitig knechten und den Nächsten ausbeuten und den Fremden – wer immer das ist – außer Landes oder umbringen. Beide haben immer Position bezogen, Hansl mit dem Theater, Werner mit der Musik.

»Pfeifen, singen oder trommeln Sie«, hat Werner auf seinem Anrufbeantworter gesagt. Die Freude an der Musik steht an erster Stelle, ganz legitim. Es ist schön, zu pfeifen, zu singen und zu trommeln. Es ist schön, mit Musik den Menschen Freude zu bereiten. Das hat Werner immer getan, besonders auch als Jazzmusiker, zusammen mit Harry Pepl als legendäres Jazz-Zwio.

Aber es hat ihm nicht genügt. 1973, mit dem »halben doppelalbum« hat er zum ersten Mal auf satirische Weise Stellung bezogen zur Tiroler, zur österreichischen Wirklichkeit, auf eine derart unverblümt witzige Weise, dass viele das nicht ertragen haben.

Witz ist eine unglaublich wirksame Waffe gegen die Mächtigen. Werner beherrschte das, was vielen Musikern versagt ist – das Wort nämlich; er war ein unglaublich begabter Verfasser von lakonischen, ins Schwarze treffenden Texten. Er hätte uns, die Autoren, gar nicht gebraucht. Aber wir brauchten ihn, den Komponisten, wir brauchten ihn dringend. Niemand, der es gehört hat, wird Werners Musik zu »Stigma« vergessen, 1982 in Telfs bei den Volksschauspielen. Da stand ein leeres Bett auf der Bühne, die Musik von Werner setzte ein, und die Zuschauer, Zuhörer brachen in Tränen aus, bevor ein Mensch auf der Bühne erschien, bevor ein Wort gefallen war.

Und im gleichen Sommer die Musik zur Komödie»Kaiser Josef und die Bahnwärterstochter« von Herzmanovsky-Orlando, »Do You Know Emperor Joe«, Witz auf dem höchsten Niveau, ein Jubel ohnegleichen, einer der Songs wurde in diesem Sommer zum Schlager, den die Telfer auf der Straße pfiffen, wie weiland bei Verdi in Mailand.

Werner hat mich durch mein ganzes literarisches Leben begleitet, er hat meine Stücke und Filme veredelt, in die Höhe gehoben und vertieft zugleich. Wir haben das Leben des Arbeiterdichters Alfons Petzold zusammen verfilmt, die »Sonate vom rauen Leben« wird als eine der berührendsten Kompositionen der Musikweltliteratur für immer Bestand haben; wir haben Südtirols Geschichte aufgearbeitet, wieder gibt es da in diesem Film Momente, wo nichts passiert, als dass ein verzweifelter Mensch durch eine Bauernstube geht, um den aufgebahrten toten Sohn herum, schweigend, versteinert, und es ist ganz still, und plötzlich setzt ein Musikakzent von Werner ein, und es dreht uns allen das Herz um vor Weh.

1988 »Kein schöner Land« am Wiener Volkstheater, wir erzählen die Geschichte eines Tiroler Juden, der im Stich gelassen, ausgeliefert, umgebracht wird – »Kann die Geige weinen? Sing! Tanz! Shalom« heißen die Sätze. Da gingen manche Abonnenten hinein, um das Abonnement abzusitzen, und sie kamen verwandelt heraus, durch Werners Musik.

Dasselbe bei »Ein Jedermann« in der Josefstadt, dasselbe bei der »Wilden Frau« im Ensembletheater am Petersplatz. Theater ist langweilig und nutzlos, wenn es nicht verändert, zumindest einen Menschen unter den zweihundert oder siebenhundert Besuchern verändert. Werner hat geglaubt an die Veränderung des Menschen, so wie auch ich, viele halten uns deshalb für naiv. Das sind wir auch. Nur in seiner Musik, da war Werner nie naiv, da war er groß, gescheit, gebildet, ein unglaublicher Könner, einer der Begabtesten unserer Zeit.

Und ein gnadenloser Perfektionist dazu. Suchte jahrelang nach dem richtigen Geiger, vorher nahm er das Stück nicht auf, warf alle miserablen Tonanlagen aus sämtlichen Wiener Theatern, in denen er arbeitete, und er arbeitete in beinah allen, war lästig bei Tonaufnahmen bis zum Gehtnichtmehr; das »halbe doppelalbum«, 1996 auf CD überspielt, musste natürlich klingen wie das Original-38er-Band, seinen Leib-Tontechniker Hanno Ströher schleppte er deshalb durch die Gegend, von Innsbruck bis Bratislava; und er liebte seine Musiker, verehrte sie, die Philharmoniker, mit denen er arbeitete, die Symphoniker, die Leute von den Kontrapunkten, die Jedermann-Bläser, die Stadtpfeifer, den Siggi Haider, alle. Und die Musiker lieben ihn, auch wegen seines Witzes, denn die auffallendste Eigenschaft aller Musiker ist ihr Humor; aber natürlich lieben sie ihn hauptsächlich wegen seiner Begabung.

Nie zuvor – finde ich – hat ein Komponist alles so fulminant unter einen Hut gebracht, hat gepfiffen auf E und U, hat den Jazz, die Volksmusik, die Klassik, die Moderne so unter einen Hut gebracht, aber auf ganz neue, unverwechselbare Weise, immer aber ohne akademische Hochnäsigkeit, denn sich erheben über die Menschen, das wollte Werner nie; Musik für Hirn, Herz und Bauch hat er uns geschenkt, der Einzige unter den Modernen, der keine Schwellenangst hervorrief, wo kein Bruch da war, sondern einfach ein Fließen; das alles kam aus dem Thaurer Fuchsloch heraus, und der Mensch in Tirol, und der in Wien, und der in NewYork hört zu und denkt und fühlt und pfeift mit Werner auf E und U, denn es gibt nur eines: gute oder schlechte Musik.

Zu sagen ist noch, dass Werner – genau wie Hans Brenner – gern gelebt hat, – »Let`s have a smoke, let`s have an Obstler« –, gern sehr intensiv gelebt hat, und sich die Nächte um die Ohren schlug, komponierend oder im Gespräch mit Freunden und Musikern und Regisseuren, und so ist Werner eigentlich nicht mit 61 Jahren gestorben, sondern mit 122, und das ist gar kein so schlechtes Alter.

Fehlen tust du uns allen trotzdem ganz furchtbar, Werner, wir werden aber weiter pfeifen, singen oder trommeln, in deinem Sinne, das versprechen wir dir. Sing, tanz, pfiat di, Shalom, lieber Werner Preisegott Pirchner!